Englische Momente mitten in Hamburg
Hamburg im Herbst: die Restaurantbesitzer fegen die bunten Blätter auf den Wegen zur Seite und die ersten nieseligen Tage tauchen die Hansestadt in ein blasses Blaugrau. Die Möwen kreischen trotzdem begeistert über uns und die Passanten wappnen sich langsam mit Gummistiefeln und Barbour-Jacken gegen drohendes Schietwetter.
Die Schlagersängerin Mary Roos sang vor vielen Jahren mit „Hamburg im Regen“ eine Hommage an die windgepeitschten Tage und Nächte dieser Perle im Norden. Als Schülerin verliebte ich mich ausgerechnet im Dauerregen bei einem Klassenbesuch in diese Stadt, die auf den ersten Blick so kühl wirkt und doch so viel Emotionen hervorrufen kann.
Hamburg hatte schon immer einen recht anglophilen Touch, auch wenn in den letzten Jahren zunehmend skandinavische Läden und Cafés die Stadt erobern. Bei manchen Spaziergängen fühlt man sich unmittelbar an London erinnert. Und wenn ich Sehnsucht nach der britischen Metropole habe, aber keine Zeit schnell mal hinzudüsen, weiß ich genau, wo ich in Hamburg hingehen muss, um mich ein bisschen uptight und britisch zu fühlen. Zu meinen Lieblingsorten in der Hansestadt gehört die Mellin-Passage, die die supernoble Einkaufsstraße Neuer Wall mit den malerischen Alsterarkaden verbindet.
Diese kleine Passage ist die älteste in Hamburg und wurde 1864 eröffnet. Damals hatte sie bereits hübsche Wandmalereien, zur Jahrhundertwende kamen dann noch aufwendige Deckendekorationen im Jugendstil und Hinterglasbilder hinzu. Ende der 80er Jahre wurde die Passage komplett renoviert und glänzt seitdem mit hohen lichten Decken, wunderhübschen Schaufenstern, die mit dunklem Holz umrandet sind und einer Reihe sehr ausgewählter Shops. So residiert zum Beispiel einer der traditionsreichsten Buchläden von Hamburgs Felix Jud in der Mellin-Passage. Man kann aber auch stilvolles Reisegepäck für den nächsten England-Besuch oder feinste Schokolade aus Belgien einkaufen und dann ganz gepflegt eine Tea-Time im Arka-Teepavillon zu sich nehmen. Bei schönem Wetter sitzen die Besucher unter den Arkaden und beobachten die Schwäne beim Baden im kleinen Alsterausläufer vor dem Rathaus.
Atmosphäre und Stil dieser verträumt wirkenden Passage, die ein echter Geheimtipp ist, erinnern mich an die legendäre Burlington Arcade in der Nähe der Bond-Street mitten in London. Auch in dieser ehrwürdigen Passage sind die Geschäfte sehr exklusiv und ausgesucht und von dunklem Holz ummantelt. Von den hohen Decken strömt das Licht hinein und taucht den Durchgangsraum in einen sanften Glow.
Als ich neulich mal wieder einen kleinen Abstecher zu meiner Lieblingspassage in Hamburg machte und mit geschlossenen Augen für einen Moment nur dem Stimmengewirr um mich lauschte, sprach mich ein älterer Herr an. Er sah aus wie ein perfekter Gentleman und kam tatsächlich aus England. Bei einem Besuch vor mehr als 40 Jahren hatte er sich in seine Frau verliebt und war für sie in den kühlen deutschen Norden gezogen. In Tweed-Jacket und mit Regenschirm bewaffnet hätte er direkt aus einer englischen Werbeanzeige stammen können. Als junger Mann hatte er davon geträumt, einen Laden in der Mellin-Passage zu eröffnen. Denn auch ihn erinnert sie an seine Heimat London. Und auch er kommt regelmäßig hierher, um ein bisschen britische Atmosphäre zu schnuppern. So sind wir also schon mindestens zwei Menschen in Hamburg, die ihre englischen Momente in der Mellin-Passage erleben.
Mellin-Passage: Neuer Wall 13 in 20354 Hamburg, U-/S-Bahn Jungfernstieg
image: Ingeborg Trampe